Manchmal unterliegen wir einem Denkfehler:
Wir stellen uns unter dem Zimmerfreiflug so etwas ähnliches vor wie einen Freigang, bei dem die Gefängnisinsassen ihre Zellen verlassen dürfen, um im Gefängnishof brav ihre 10 Runden zu drehen, ehe sie wieder in ihre Zellen zurückkehren (außer, es bietet sich ihnen eine Möglichkeit zur Flucht).
Oder drücken wir es positiver aus, aber nicht minder falsch:
der Freiflug ist dann so etwas wie unser sonntäglicher Spaziergang, bei dem wir eine Stunde oder auch zwei gehen – vielleicht noch unterbrochen von einer kurzen Rast -, um dann wieder in unser gemütliches Heim zurückzukehren.
Lassen wir unsere Vögel also eine Stunde raus, damit sie eine Stunde oder zumindest aber 10 Runden im Zimmer fliegen!
Doch, wie die meisten beobachtet haben werden: so läuft es meistens nicht mit dem Fliegen.
Flieg, Vogel, flieg!
Zu den natürlichen Fortbewegungsmethoden der allermeisten Papageienarten gehört das Fliegen. Zu einer annähernd artgemäßen Haltung gehört es deshalb auch, dem Vogel Flugmöglichkeiten zu bieten.
Bei einer Vogelzimmerhaltung ist dies kein Problem – den Vögel steht ja dauerhaft ein vogelsicher eingerichtetes Zimmer zur Verfügung.
Anders bei der Volieren- und Käfighaltung: selbst Volieren sind bei der Wohnungshaltung in aller Regel nur so bemessen, das allerhöchstens die kleinsten Arten darin soviel Flugmöglichkeiten haben, dass auf den Zimmerfreiflug verzichtet werden könnte.
Dabei darf man sich aber keineswegs der Illusion hingeben, das ein Zimmer (oder auch eine größere Außenvoliere) dem Vogel eine auch nur annähernd mit der Natur vergleichbare Flugmöglichkeit bietet: dies gilt selbst für die kleineren und kleinsten Arten.
So legen Wellensittiche manchmal hundert Kilometer am Tag zurück, sie können in einer Fluchtsituation Geschwindigkeiten von ca. 70 km/h erreichen: so etwas ist im Zimmer oder einer Voliere nicht möglich.
Auch werden die Papageien aufgrund des beschränkten Raumverhältnisse zu einem Kurvenflug gezwungen, eine größere Höhe können sie nicht erreichen, Aufwinde fehlen ganz:
Nymphensittiche bspw. sind geschickte Segelflieger – einen solchen Anblick kann man im Zimmer nicht genießen.
Fliegen als Gesundheitsvorsorge
Der Freiflug ist aber nicht nur deshalb wichtig, um den Vögeln die Möglichkeit zu geben, ihr natürliches artgemäßes Verhalten zu zeigen:
er ist von großer Bedeutung für die psychische und physische Gesundheit der Papageien.
Fliegen ist eine enorm energieverbrauchende Form der Fortbewegung: es werden mehr Kalorien verbraucht als beim Gehen oder Klettern. Insofern ist das Fliegen wichtig, um den Vogel vor einer Verfettung zu schützen.
Beim Fliegen wird der Kreislauf des Vogels und das Atmungssystem stark beansprucht: das fördert die allgemeine Kondition des Tieres, stärkt das Immunsystem und schützt bspw. vor Aspergillose, da sich Pilzsporen schlechter festsetzen können.
Das Fliegen und damit der Zimmerfreiflug ist also ein wesentlicher Schutz vor Krankheiten und gehört somit zur Prävention.
Beim Freiflug nimmt der Vogel seine Umwelt aus unterschiedlichen Persepektiven wahr, begegnet neuen Situationen und Objekten: so vermittelt der Freiflug dem Vogel neue Umweltreize und hält ihn so geistig rege und aktiv.
Zum Fliegen reizen
Eine Stunde Freiflug allerdings heißt für die Vögel nicht eine Stunde fliegen mit kurzen Pausen dazwischen, eher das Gegenteil:
Tatsächlich ist die Zeit, die ein Papagei mit Fliegen außerhalb seines Käfigs verbringt, oft sehr gering.
Da macht man sich einmal die Mühe, mit einer Stoppuhr die Zeit, die ein Vogel während seines Freifluges wirklich fliegt, festzuhalten, so stellt man fest, dass innerhalb einer Stunde oft höchstens eine Minute, vielleicht sogar nur wenige Sekunden geflogen wird.
Da Fliegen eine sehr energieverbrauchende Form der Fortbewegung ist vermeiden viele Papageien das Fliegen, um Energie zu sparen – im Freileben für viele Arten, die nicht über ein ständiges Nahrungsangbot verfügen, ein sinnvolles Verhalten.
Von daher ist die erste Forderung: so lange wie möglich, so oft wie möglich Freiflug gewähren, möglichst mehrere Stunden am Tag, damit der Vogel möglichst viel fliegt.
Vögel machen höchst unterschiedlich von dem Freiflugangebot Gebrauch. Hier gibt es einmal Artunterschiede:
so sind bspw. Wellen-, Nymphen oder Singsittiche als vorrangig steppenbewohnende und nomadisierende Papageienarten sehr gute Flieger, die häufig auch das Fliegen dem Klettern vorziehen.
Andere, vor allem dichte Wälder bewohnende Arten hingegen klettern lieber und fliegen seltener wie z.B. Amazonenarten.
Daneben finden sich aber auch wieder die individuellen Unterschiede: es gibt Papageien, die – zumindest aus Menschensicht – nur aus Spaß an der Freude viel fliegen, während ein anderer Vogel der gleichen Art nur fliegt, wenn es nicht anders geht.
Die Ursache kann auch in der Lebensgeschichte des Papageien liegen: so bekam ich meinen Graupapageien Alf als einjähriges Tier mit gestutzten Flügeln. Es hat drei Jahre gedauert bis die Schwungfedern nicht mehr ständig abgeschmissen wurden und nochmals ein Jahr, bis Alf richtig fliegen konnte – auch wenn er nie die Geschicklichkeit der anderen Graupapageien erreicht hat und auch seltener fliegt als die anderen – eben nur, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden lässt.
Es ist in der Wohnungshaltung nicht selten, dass ein Verhalten häufiger auftritt als im Freileben, ein anderes Verhalten dagegen seltener:
Da bspw. der Zwang zur Suche nach Futter, nach einem Partner oder einem Nistplatz entfällt, verbringen manche Vögel mehr Zeit mit Fressen, mit Körperpflege, mit Schlafen oder mit Spielen, und manche eben auch mit dem „spielerischen Fliegen“, eine Verhaltensmodifikationen).
Doch nicht bei jeder Vogelart und vor allem nicht bei jedem Vogel treten solche Verhaltensmodifikationen als ein Weg der Anpassung auf.
Deshalb müssen wir für die Papageien Anreize zum Fliegen schaffen:
Im Vogel- und Freiflugzimmer sollte es immer mehrere, möglichst weit auseinandergelegene Lande- und Sitzplätze geben.
Das Anfliegen dieser Plätze kann durch Spielzeug attraktiv gestaltet werden.
Ist die Rückkehr in die Voliere unproblematisch kann auch eine Fütterung außerhalb des Käfigs vorgenommen werden, wobei verschiedene Futterplätze im Raum verteilt werden, die möglichst nur fliegend zu erreichen sind.
Schließlich bieten sich auch durch Paarhaltung und besonders die Schwarmhaltung für die Papageien Anreize zum Fliegen. Paar- und schwarmweise gehaltene Vögel fliegen meist häufiger als einzeln gehaltene Papageien, da die anderen fliegende Vögel einen Flugreiz bilden: Immer mal wieder fliegt der Partner oder ein Schwarmmitglied auf, was die anderen zum Folgen veranlasst.
Zudem wird durch die Interaktion zwischen den Tieren mal der eine, mal der andere von einem Platz vertrieben, der sich dann fliegend zurückzieht.
Für den Freiflug ist die vogelsichere Ausstattung des Zimmer wichtig: selbst bei beaufsichtigten Freiflug kann es sonst schnell zu Unfällen kommen.
Leider vergessen einige Vogelhalter immer wieder, dass Vögel fliegen müssen. Und der Freiflug sollte auch in der grauen und dunklen Jahreszeit angemessen statt finden, auch wenn es so aussieht das der Vogel keine Lust hat.
Hallo interessanter Beitrag..wieder was dazu gelernt…
mach weiter so.
lg lisa